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Lebensläufe

Das Forschungsfeld „Lebensläufe“ fragt im Rahmen prosopographischer und lebenszyklisch angelegter Studien nach Individuen in ihren sozialen Strukturen und wechselnden Zugehörigkeiten. Hier geht es vorrangig um Vorstellungen von individueller (Un)fähigkeit bzw. (Un)Tauglichkeit sowie von körperlicher oder seelischer Abweichung, um persönliche Handlungsspielräume und um Argumentationsstrategien in verschiedenen Kontexten vom Alltag bis zur Dichtung.
Neben vielen anderen Faktoren hängt es auch von der körperlichen Verfasstheit einer Einzelperson ab, ob etwa der Zugang zu bestimmten sozialen Gruppen gegeben war, ob bestimmte Karriereverläufe absolviert wurden oder ob ein eigener Haushalt gegründet werden konnte. Den Fragen nach Chancen und Möglichkeiten in den Feldern Arbeit, Familie, Ehe und Haushalt kann nur unter Berücksichtigung intersektionaler Aspekte nachgegangen werden. Die in der historischen Forschung bereits etablierten Differenzierungskategorien Geschlecht, Alter, Stand bzw. Schicht sollen daher in ihrer wechselseitigen Zusammensetzung daraufhin befragt werden, in welchen Konstellationen und Kontexten der Kategorie „Körper“ soziale und biographische Bedeutung zukam. Damit ist zugleich die Beziehungsebene in den Blick zu nehmen, indem die individuelle körperliche Verfasstheit einer Person mit den Spielräumen, den Strategien und den Rollenvorstellungen, die das soziale Handeln im täglichen Miteinander bestimmten, konfrontiert wird.

Das Projekt „Notiz nehmen: Aspekte des Körperlichen im Schnittfeld von Buchhaltung, Selbstbeobachtung und Gedächtnisbildung in der städtischen Gesellschaft des 15. und 16. Jahrhunderts“ (Cordula Nolte) verknüpft und erweitert zwei bislang separate Forschungsperspektiven, die sich dem Umgang mit Krankheit, Beeinträchtigung und Versorgungsbedürftigkeit in der städtischen Lebenswelt des 15. und 16. Jahrhunderts widmen. Auf der einen Seite griff die Selbstzeugnisforschung in den letzten Jahren körpergeschichtliche Fragestellungen auf und analysierte anhand dieser die Äußerungen des schreibenden „Selbst“ in seinem familialen, häuslichen und beruflichen Umfeld. Auf der anderen Seite wurde das städtische Gesundheits- und Fürsorgewesen mit seinen Einrichtungen ausgehend von sozial-, wirtschafts- und medizinhistorischen Ansätzen anhand von heterogenem Verwaltungsschriftgut untersucht. Die unterschiedliche Quellengrundlage und die je eigenen Blickwinkel hatten zur Folge, dass die persönliche Sphäre und die politische, administrative, institutionelle Handlungsebene weitgehend getrennt erscheinen. Jüngst führten indessen Archivrecherchen einer Mitarbeiterin des Bremer Homo debilis-Projekts zu der Entdeckung, dass es eine Vielzahl noch nicht edierter und ausgewerteter Texte im Schnittfeld von personaler und amtlicher Schriftlichkeit gibt, die auf ein Wechselspiel und personale Verflechtungen zwischen den Bereichen hindeuten.
Hier eröffnet sich ein vielversprechendes neues Untersuchungsfeld, das unter dem Vorzeichen der Dis/ability History bzw. der Sozial- und Kulturgeschichte des Körperlichen verschiedene Seiten des städtischen Alltags (Amtsführung und -verständnis, pragmatische Schriftlichkeit, Familienbeziehungen und Haushaltsstrukturen, Übergänge bzw. Wechsel zwischen persönlichen und stadtöffentlichen Bereichen usw.) neu konturieren kann.

Das Promotionsprojekt von Ivette Nuckel „Arbeitsunfähigkeit im Spätmittelalter. Ursachen und Folgen der Berufsunfähigkeit oder Behinderung am Beispiel von Handwerkern im norddeutschen Raum“ untersucht vor dem Hintergrund zeitgenössischer Einstellungen zur Arbeit und zur körperlichen Leistungsfähigkeit, welche Faktoren – Krankheit, Unfall, Verschleiß, Altersschwäche, Gewalteinwirkung – die Arbeitskraft von Handwerkern und Handwerkerinnen verschiedener Berufsrichtungen gefährdeten und wie diesem Risiko begegnet wurde: durch Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz, soziale Absicherung im Rahmen von genossenschaftlichen Zusammenschlüssen und städtischen Einrichtungen oder durch Almosenregelungen sowie durch familiär geleistete Pflege. Dazu müssen schriftliche Quellen mit Bildzeugnissen und archäologischen bzw. paläopathologischen Befunden ergänzt werden.

Eine „Anthropologisch-osteologische Untersuchung zu Krankheit und Versehrtheit der Bevölkerung Bremens im Mittelalter“ unternimmt Swantje Krause in ihrem Promotionsprojekt. Aus verschiedenen Ausgrabungen der Landesarchäologie Bremen stammendes Knochenmaterial des 5. bis 15. Jahrhunderts (über 100 Leichenbrände aus Bremen-Mahndorf sowie die Skelettreste von ca. 110 menschlichen Individuen aus Unserer Lieben Frauen-Kirche) wird auf den Gesundheitszustand der Bremer Bevölkerung hin untersucht. Zu erschließen sind zunächst individuelle biologische Daten wie Alter, Geschlecht, Körperhöhe, Körpermerkmale, Gesundheits- und Ernährungszustand etc. mit naturwissenschaftlichen Methoden der Geowissenschaften, der Archäometrie und der Humanmedizin. Sodann ergeben sich dank der Anwendung von soziologischen und demographischen Verfahren Aussagen über die Biologie und das Sozialgefüge der Bevölkerung: Altersaufbau, Geschlechterrelation, Kindersterblichkeit, Arbeitsbelastung und Lebensrisiken. Die Verknüpfung mit kulturgeschichtlichen Aspekten des Alltagslebens ist evident.

Karolina Meyer-Schilf untersucht in ihrem Promotionsprojekt „Versehrte Helden - Kriegsinvalidität im Mittelalter“ anhand von Schrift-, Sach- und Bildquellen die Problematik des Umgangs mit Kriegsverletzungen im spätmittelalterlichen Söldnerwesen der Schweiz. Zu fragen ist, wie mit im Kampf erworbenen Verletzungen dauerhaft umgegangen wurde, wie die medizinische und finanzielle Versorgung aussah und welche Bewältigungsstrategien beim Umgang mit dauerhaften Verletzungen zum Tragen kamen. Das Projekt untersucht weiterhin das Wechselverhältnis von Armut und Krankheit und schlägt so eine Brücke zwischen klassischer Militär-, Sozial- und Kulturgeschichte.

Heiko Hiltmann geht in seinem Projekt „Arbeit und Arbeits(un)fähigkeit im spätmittelalterlichen Island“ der Frage nach, inwiefern Kategorien wie körperliche ‚Unversehrtheit‘ beziehungsweise ‚Versehrtheit‘ in der altisländischen Gesellschaft über die soziale ‚Nützlichkeit‘ beziehungsweise ‚Nutzlosigkeit‘ von Personen bestimmten. Dem entsprechend soll untersucht werden, welche Auswirkungen eine durch physische ‚Beeinträchtigungen’ bedingte Arbeits- und Kriegsunfähigkeit auf die soziale ‚Wertigkeit‘ und gesellschaftliche Teilhabe von Individuen hatte. Darüber hinaus wird nach den Lebensperspektiven ‚behinderter’ Menschen im vormodernen Island gefragt. Zentrale Quellen sind die Texte der sogenannten Gegen- und Vergangenheitssagas sowie die isländischen Rechtsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts.

Aktuelles

Neuerscheinung: Dis/ability History der Vormoderne. Ein Handbuch / Premodern Dis/ability History. A Companion, hg. v. Cordula Nolte, Bianca Frohne, Uta Halle, Sonja Kerth, Affalterbach 2017.

Disability History der Vormoderne Weitere Informationen


Workshop “Perspektiven der Dis/ability History im interdisziplinären und internationalen Verbund”,

  1. – 7. Februar 2016 (Delmenhorst, Hanse-Wissenschaftskolleg) Weitere Informationen

Workshop “Images of Dis/ability”. Disease, Disability & Medicine in Medieval Europe, 9th Annual Meeting, Bremen, 4.-6. Dez. 2015. Weitere Informationen


Neu: Swantje Köbsell: LeibEigenschaften - eine barrierefreie Ausstellung über den Umgang mit Beeinträchtigungen in der Vormoderne, in: Handbuch Behindertenrechtskonvention (2015). Zu Entstehungshintergrund, Idee und Umsetzung der Bremer Ausstellung von 2012.


Neu: Dissertation von Bianca Frohne: Leben mit »kranckhait« Der gebrechliche Körper in der häuslichen Überlieferung des 15. und 16. Jahrhunderts Überlegungen zu einer Disability History der Vormoderne (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 9), Affalterbach 2014. Weitere Informationen


Interdisziplinäres Ringseminar an der Universität Bremen: “Dis/ability History. Ein neuer Blick auf die Geschichte”. Wintersemester 2014/15, Freitags von 10 – 12 Uhr, GW2, Raum B 2880. Weitere Informationen


2014 Conference on Disease, Disability and Medicine in Medieval Europe: Infection and Long-Term Sickness. University of Nottingham, 6./7. Dezember 2014. Weitere Informationen


Graduate Workshop on Medieval Disability, University of Nottingham, 5. Dezember 2014. Weitere Informationen


Workshop: „Dis/ability History, Literaturwissenschaft und Sprachgeschichte im Dialog” unter der Leitung von PD Dr. Sonja Kerth und Dr. Heiko Hiltmann (Universität Bremen). Bremen, Gästehaus am Teerhof, 10./11. Oktober 2014.
Weitere Informationen


Workshop: „Dis/ability: Archäologie & Anthropologie - Funde und Befunde”
unter der Leitung von Prof. Dr. Uta Halle (Universität Bremen), Dr. Christina Lee (University of Nottingham) und PD Dr. Wolf-Rüdiger Teegen (Ludwig-Maximilians-Universität München). Hanse-Wissenschaftskolleg Delmenhorst, 13./14. Juni 2014 . Mehr


Neuerscheinung: Phänomene der “Behinderung” im Alltag. Bausteine zu einer Disability History der Vormoderne, hg. von Cordula Nolte (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 8), Affalterbach 2013. Weitere Informationen unter Didymos Verlag


Workshop „Dis/ability and Law in Pre-Modern Societies.
Schnittfelder von Rechtsgeschichte und Dis/ability
History“
unter der Leitung von Prof. Dr. Cordula Nolte (Universität Bremen) und Prof. Dr. Wendy Turner (Georgia Regents University, Augusta). Universität Bremen, 31. Jan./01. Feb. 2014. Mehr


Workshop „Dis/ability History und Medizingeschichte. Begriffe – Konzepte – Modelle“ unter der Leitung von Prof. Dr. Cordula Nolte (Universität Bremen) und Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha (Universität Leipzig). Bremen, Gästehaus Teerhof, 16./17. September 2013. Mehr